IMPRESSUM 

HINTERGRUNDRAUSCHEN DES II. WELTKRIEGS
Potsdamer "Tempo"
 

Mitunter trickreich haben Musikproduzenten zur Nazizeit versucht, an der Reichskulturkammer vorbei heiße Tanzmusik auf Schallplatte unterzubringen, sozusagen zu verschleiern. Ein lahmes Musik-Intro, hinter dem zunächst niemand eine "heiße" Nummer vermutete, bewusst keine oder falsche Rhythmusangaben bis hin zu harmlosen, ja langweiligen Liedtiteln wie "Melodie in Moll", "Studie in F" oder "Alo-Ahe". Dann aber lassen sich hören: Elemente von Jazz, Swing, Big-Band-Sound, Blues - Anklänge an das, was Kulturwächter jener Zeit als "undeutsch" und "artfremd" herabstuften. Wo wurde so etwas gemacht? Zum Beispiel von 1938 bis 1945 hier um die Ecke, bei der Schallplattenfirma Tempo in Babelsberg.

Die Marke Tempo ging aus der Tonträgerfirma "Brillant AG" hervor, die 1931 vom Unternehmer Otto Stahmann in Berlin-Wilmersdorf gegründet worden war, um Schallplatten im Niedrigpreisbereich zu produzieren. Die Tempo-Schellack galt schon bald als die Schallplatte für das Volk. Sie kostete nur 1 Reichsmark (RM), während Telefunken ab 2 RM, Odeon und Electrola ab 2,50 RM für ihre Neuerscheinungen verlangten. Außerdem wurden die Tempo-Platten nicht über den herkömmlichen Musikhandel, stattdessen über die Kauf- und Warenhäuser angeboten, waren somit reichsweit in jeder größeren Stadt zu bekommen. Um die Marke möglichst preiswert zu halten, griff die Firma nicht auf weithin bekannte Künstler, sondern auf unbekanntere zurück und zahlte ihnen mit "5 Mark fürs Arrangieren, 5 Mark fürs Dirigieren, 5 Mark fürs Spielen" auch keine hohen Gagen.
Dieses Vertriebsmodell wurde im Laufe der 1930er Jahre so erfolgreich, dass der Firmenchef seine Fabrikation schon bald vergrößern wollte.

1936 kaufte Otto Stahmann deshalb die Nowaweser Grundstücke Auguststraße (später Tuchmacherstraße) 45 und Wilhelmstraße (später Alt Nowawes) 67 und verlegte zwei Jahre später seine gesamte Schallplattenproduktion hierher. Auf den zwei aneinandergrenzenden Grundstücken nutzte er alle Gebäude des Vorbesitzers weiter; denn das Gelände der seit 1927 hier ansässig gewesenen Schirmstockfabrik des emigrierten jüdischen Eigentümers Bernhard Noa stand verwaist. (Auch dieser hatte lediglich die Fabrikgebäude von seinem Vorgänger, der "Nowag Märkische Celluloidfabrik GmbH" übernommen.) Also bekam Stahmann keine Probleme mit der Kontingentierung von Baumaterialien: Er hatte schlicht kaum Neues zu bauen.

Man würde vermuten, die in Babelsberg ansässigen Plattenfirmen (neben der Tempo war das bis 1932 noch die Electrola) hätten vor Ort gar keine Aufnahmestudios gehabt, sondern ihre Aufnahmen in Berlin durchführen lassen. Für die Electrola stimmt dies auch. Otto Stahmann dagegen strebte mit dem Umzug nach Potsdam einen Repertoirewechsel an. Er wollte sein Musikangebot aufbessern, verjüngen. Und so gab es ab Juli 1938 hier auf Stahmanns Firmengelände eigene Aufnahmeräume unter Leitung eines Tontechnikers namens [...]
 

[...] Eine Schnulze wie "Zum Abschied reich ich dir die Hände" endet in einem Boogie-Woogie, der per Erlass seit 1938 verboten war. Oder: sinnliche Rumba-Rhythmen, allzu "exotisch" in den Augen der Machthaber, deklarierte Stahmann - wie hier auf dem Etikett der tanzbaren Serenade "Wolken segeln durch die Nacht" - einfach als Foxtrott, und führte so die Kulturbehörden in die Irre. [...]
 

 
Tempo 5138
Horst Winter (Gesang) mit seinen Solisten
"Wolken segeln" – Matrize 1896
aufgenommen im Winter 1942

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Dieser Beitrag erschien gedruckt und bebildert
im Heft 38 (2014) von POTSDAMLIFE –
Das Kultur- und Gesellschaftsmagazin
für das Land Brandenburg,
 

 
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© Mathias Deinert 2015